Der Eisenbahnknoten Offenburg und das Ausbesserungswerk

- ein kurzer geschichtlicher Überblick

 
von Frank-D. Paßlick

      Mittels Gesetz wurde es am 29. März 1838 verkündet: Seine Hoheit Großherzog Leopold hatte sich im Einvernehmen mit der Regierung und dem Parlament gegen die private Finanzierung einer Eisenbahn (u.a. durch Finanziers aus der Schweiz) entschieden. "Der Bau einer Badischen Hauptlinie von Mannheim bis zur Schweizer Grenze wird auf Staatskosten ausgeführt".
      Bereits sechs Jahre später, am 1. Juni 1844, lief der erste aus Karlsruhe kommende Zug in den Offenburger Bahnhof ein (Zum Vergleich: der Ausbau von zwei auf vier Gleise zwischen Rastatt Süd und Offenburg benötigte eine Bauzeit - ohne Planung, Raumordnungsverfahren, Planfeststellung usw. - von 16 Jahren!). Am gleichen Tag ging auch die Zweigstrecke (damals "Seitenbahn") zwischen Appenweier und Kehl in Betrieb. Seit dem 1. August 1845 rollten die Züge weiter von Offenburg nach Freiburg. Zum Eisenbahnknoten wurde Offenburg allerdings erst mit der Eröffnung des ersten Teilstücks der Schwarzwaldbahn Offenburg - Hausach (-Konstanz) am 2. Juli 1866. Hinzu kam schließlich am 1. Juli 1876 die Renchtalbahn bis Oppenau.
      Das Bahnhofsgebäude steht heute noch an der Stelle, wo es 1844 eröffnet wurde. Die Gleisanlagen des Personenbahnhofs hingegen wurden in mehreren Phasen erweitert. Hinter den sechs Gleisen, die für die Betriebsabwicklung in den ersten Jahrzehnten ausreichten, entstand eine Lokomotiv- und Wagenwerkstätte entlang der Rammersweierer Straße, die damals noch in die Zeller Straße mündete. Letztere verlief bis zum Bau der Unionsrampe noch über einen schrankengesicherten Übergang über die Gleise des Südkopfes des Personenbahnhofs unmittelbar zur Hauptstraße.
      Das vierständige Werkstättengebäude reichte mit seinem südlichen Ende bis zu diesem Bahnübergang. Zwischen seinen beiden Gebäudeteilen war eine Schiebebühne angeordnet. Trotz der drangvollen Enge in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurden in diesen Hallen die Wartungen und Reparaturen ausgeführt, die später vom Ausbesserungswerk übernommen werden sollten. Eine zeitgenössische Situationsbeschreibung findet sich in "D'r alt Offenburger" vom 8. Juni 1902:

      "Die vorhandene Werkstätte Offenburg ist für die Unterhaltung der ihr z.Zt. zugetheilten 92 Lokomotiven mit 1422 m Gesamtlänge und 218 Personen=, Gepäck=, Eilgut= und Bahndienstwagen mit 19 978 m Gesamtlänge seit Langem zu klein, so daß sie bei nur 296 m überdachter Gleislänge die auszubessernden Lokomotiven und Wagen nicht mehr aufnehmen kann. Ein Theil dieser Betriebsmittel muß daher im Freien ausgebessert werden, auch ist es in den letzten Jahren vielfach nöthig gewesen, die ihrerseits gleichfalls immer unzulänglicher werdende Hauptwerkstätte zur Unterstützung der Betriebswerkstätte herbeizuziehen. Dadurch ergeben sich nicht nur unerwünschte Hin= und Rücktransporte von Betriebsmaterial, wodurch letzteres dem Betrieb unnöthig lange entzogen wird, sondern die Hauptwerkstätte wird auch in der Erfüllung der ihr in erster Linie zufallenden Aufgaben in empfindlicher Weise gehindert.
...
      Da bei dem Umbau des Bahnhofs die dem Aufnahmsgebäude zunächst stehenden Maschinenhäuser entfernt werden müßten, solche aber bei nicht zu großer Entfernung von der                   
Werkstätte und bei geeigneter Bauart auch zu kleineren Ausbesserungsarbeiten an Lokomotiven sehr zweckmäßig benützt werden können, da ferner eine größere Ausdehnung der Werkstätten an ihrer jetzigen Stelle in Hinblick auf die Bahnhofserweiterung nicht möglich ist, endlich aber die meisten Bauten der Werkstätte der leichten Bauart wegen für die schweren Arbeiten an den in immer steigendem Maße in Dienst zu stellenden größeren Lokomotiven und Wagen nicht mehr geeignet sind, wodurch die Arbeitskosten für die Unterhaltung und Instandsetzung dieser Betriebsmittel ungünstig beeinflußt werden, mußte man zu einer Verlegung der Werkstätte, d.h. zu einem Neubau an anderer Stelle unter thunlichster Verwendung der vorhandenen Werkstätteneinrichtungen übergehen. Es war angezeigt, die Werkstätte in der Nähe des projektirten großen Maschinenhauses im Güterbahnhof zu stellen und zwar so, daß die Zu= und Abfahrten dahin in vortheilhafter Weise stattfinden können und daß auch das neue Elektrizitätswerk eine geeignete Lage zur Werkstätte erhalten kann."

 
Auch der Bauplatz des neuen "Werkstätten - Bahnhofs" war damit hinreichend festgelegt. Bereits seit 1904 lieferte das neue Elektrizitätswerk, heute noch als markanter Bau in wilhelminischem Stil von der Rammersweirer Straße aus zu sehen, mit zwei Verbund-Dampfmaschinen und zwei 330 kW-Drehstromgeneratoren elektrische Energie für Offenburg, Appenweier und Kehl. Dampflokomotiven in RH1 Süd
Alle Stände sind belegt in Richthalle 1 (Süd); vorne ist eine "Mikado" BR 39 (ehem. P 10) zu erkennen, die ab 1922 im BW Offenburg beheimatet waren und auf der Schwarzwaldbahn bis 1966 eingesetzt wurden.

Ein großer Teil der späteren AW-Anlage konnte am 1. April 1909 in Betrieb gehen. Dazu gehörte schon damals die große Lokomotivrichthalle RH1 mit 34 Ständen, die Wagenrichthalle für Personen- und Güterwagen mit 45 Ständen, eine Schmiede, Dreherei und die Werkstofflager. Im "Werkstätten - Bahnhof" fanden damals etwa 300 Personen Arbeit.

      Ein Ausbesserungswerk ist verständlicherweise überwiegend mit älteren Lokomotiven beschäftigt. Trotzdem sah man in Offenburg während der Anfangsjahre des neuen "Werkstätten - Bahnhofs" auch moderne Baureihen der wechselhaft erfolgreichen badischen Dampflokgeschichte. Auf den Gleisen der Rheintalstrecke, ab 1911 auch auf der Schwarzwaldbahn und im BW Offenburg beheimatet, fuhr mit der Gattung IVf die erste deutsche "Pazifik" (Achsfolge 2'C1'). Diese Lokomotive leitete den Höhepunkt des deutschen Lokomotivbaus unter dem Entwickler Hammal (Maffei) ein. Aus ihr wurden als Folgebaureihen die berühmte bay. S3/6 und die bad. IVh abgeleitet. Ein Exemplar der Gattung IVh, die spätere BR 18 323 der Deutschen Bundesbahn, ist als Denkmallok vor der Fachhochschule Offenburg erhalten geblieben. Auch mit gravierenden Fehlkonstruktionen mußte man sich in Offenburg herumschlagen: die bei der Maschinenfabrik Karlsruhe 1912 gebaute IVg wurde, im Gegensatz zu vielen anderen Lokomotiven, "gern" als Reparationsleistung nach dem 1. Weltkrieg an die Franzosen abgegeben. Dieser Krieg ging nicht spurlos an den Bahnanlagen Offenburgs vorbei. Mehrere Bombentreffer waren auch im Bereich des AW zu verzeichnen.

Ende der Länderbahnzeit - Reichsbahnausbesserungswerk Offenburg

       Nach der Beseitigung von Kriegsschäden wurde es zu Beginn der Zwanziger Jahre bereits wieder eng in den Hallen - auch die Zahl der Beschäftigten hatte sich mittlerweile auf 900 erhöht. Ab 1923 mußte das Eisenbahn-Ausbesserungswerk um eine neue Kesselschmiede erweitert werden. Das stattliche Gebäude wurde bereits 20 Jahre später durch Bombentreffer stark beschädigt, bald nach dem Krieg aber wieder aufgebaut. Endgültig zerstört wurde es erst 1997 durch den Neubau des Postverteilzentrums.
      Zurück zu den Zwanziger Jahren. Die Zeit der Länderbahnen ging zu Ende. Die Gründung der Deutschen Reichsbahngesellschaft brachte gewaltige Strukturänderungen bei den Eisenbahnen mit sich. Das Ausbesserungswerk Offenburg gab die Reparatur von Reisezug- und Güterwagen nach Karlsruhe ab und weitete den Umfang der Lokomotiv-Ausbesserung aus. Das Ausbesserungswerk Durlach wurde dem RAW Offenburg als Werkabteilung angegliedert.

1.372 Beschäftigte und 20.000 ausgebesserte Loks

      Nach massiven Kriegseinwirkungen mußte das Werk am 14. April 1945 stillgelegt werden. Bereits einige Wochen später begann aber der Wiederaufbau und nur drei Monate nach der Kapitulation konnten die 250 Mitarbeiter der "ersten Stunde" eine ausgebesserte 75-er (ehemals bad. IVc) in den Betriebsdienst abliefern. Trotz der Wirren der Nachkriegszeit stieg die Anzahl der Beschäftigten kontinuierlich bis zur Höchstmarke von 1.372 im Jahr 1952. Das inzwischen Bundesbahn-Ausbesserungswerk Offenburg (seit 1951) genannte Werk besserte die beeindruckende Zahl von 490 Lokomotiven im Jahr 1952 aus. Bis zur Aufgabe der Unterhaltung von Dampflokomotiven im Jahr 1972 hat das Werk Offenburg insgesamt etwa 20.000 Loks ausgebessert.

Awst Offenburg - die Zeit nach der Dampflokausbesserung

      Zum Zeitpunkt der Ablieferung der letzten Dampflok (50 3133) war die Umstrukturierung des Werks schon voll im Gange. Aus dem AW war bereits 1970 eine Awst (Ausbesserungswerkstätte) geworden, die parallel zur rückläufigen Dampflokausbesserung neue Standbeine entwickelte. Die "Produktpalette" kann hier nur unvollständig wiedergegeben werden: von Wetterschutzhäuschen über Signalausleger bis zu riesigen Stahlkonstruktionen entstand in den Folgejahren vieles in den Hallen, was heute noch "draußen" im Betrieb besichtigt werden kann. Wenn Sie im Münchner Hauptbahnhof vom Zug kommend auf den Querbahnsteig schauen, sehen Sie einen der Großaufträge des Stahlbaus der Offenburger Spezialisten. Aber auch die Bahnsteigdächer in Mannheim und und und...
      Ganz wesentlich geprägt waren die letzten Jahrzehnte durch den (Um-)Bau von Bahndienstfahrzeugen. Lange Wagenschlangen von Dreiachsern (B3yg u.a.) standen, seit 1974 bei Ablieferung in blau gespritzt, auf dem Gelände des AWs. Auch Spezialfahrzeuge, die bei Reparatur und Wartung auf Offenburger Fachkenntnisse angewiesen waren, sollen noch erwähnt werden: von der Schneefräse und -Schleuder reichte das "Angebot" bis zu den mächtigen Kranwagen und den zugehörenden Schutzfahrzeugen. Als besonders spektakulär empfand der Chronist besonders die Kranabnahme, wenn Lokomotive 39 230 ihre 110 t Eigenmasse als Prüflast abgeben mußte: schwebende Dampflok an vier Stahlseilen.


Ausbesserungswerk Offenburg  -  ein Web-Projekt der SCHIENE regional   © 2000 - 2005 Frank-D. Paßlick